Die Eichhörnchen waren ganz aufgeregt. Aufgeregter als sonst. Die Sommersonnwende stand vor der Tür und der ganze Wald war beschäftigt. Alljährlich fand um die alte Eiche in der Mitte des Waldes ein großes Fest statt und alle halfen mit. Die Glühwürmchen sorgten für die Beleuchtung, die Spinnen hingen die verschiedensten Dekorationen auf, die das ganze Jahr über gebastelt wurden. Jeder half mit, dass der längste Tag und die kürzeste Nacht zu einem unvergesslichen Ereignis wurde.
Die alte Eiche stand schon seit uralter Zeit mitten im Wald. Es gab kein Tier, dass sich an eine Zeit erinnern konnte, wo sie nicht als Ruhepol ihre schützenden Zweige über den Waldboden spannte. Es wuchsen ein paar junge Bäume in ihrem Schatten, und die Sonne fand immer wieder ihren Weg zwischen den Blättern hindurch, so dass der Waldboden übersät war mit Kräutern und Waldblumen. In der Nähe war eine Senke, in der sich das Wasser sammelte und die Tiere schauten gerne vorbei, wenn sie zum Trinken kamen. Alle trafen sich unter der Eiche, und so hatte es irgendwann einmal angefangen. Keiner konnte sich erinnern wann - weder die Eule noch der Hirsch - aber jedes Jahr trafen sich alle unter der Eiche, um die kürzeste Nacht zu feiern. Und bald war es wieder so weit. Die Eichhörnchen rannten aufgeregt durch den Wald und erzählten es überall.
Die jungen Dachse waren dieses Jahr besonders aufgeregt. Irgendwo her kam das Gerücht, dass Arävin auch zum Fest kommen würde. Jeder Jungdachs kannte seine Abenteuer. Ihn persönlich zu treffen und aus erster Hand zu hören, was er auf seinen Reisen erlebt hatte, wäre ein wahrgewordener Traum! Sie steckten mit ihrer Vorfreude den ganzen Wald an und auch die Eiche wurde neugierig, ob Arävin sich blicken lassen würde, und was er zu erzählen hätte.
Und so kam der große Tag, die Sonne ging morgens auf und strahlte auf die Blätter der Eiche. Unter der Eiche wurde ein Festmahl aufgebaut. Die Rehe und Hasen hatten von den Wiesen um den Wald Blüten gebracht. Die Spinnen hatten gekonnt den Baum damit geschmückt. Die Eiche freute sich jedes Jahr auf diese Zeit: all die verschiedenen Düfte und Blüten! Sie konnte die ganze Welt sehen, ohne jemals ihren Wald zu verlassen! Und all die Vögel, Käfer, Insekten und Tiere, die aus dem ganzen Wald zusammenkamen, um unter ihren Ästen zu feiern! Und da kamen schon die ersten Gäste angeflogen, die Schnecken waren schon eine Weile unterwegs, um heute da zu sein und den Tag und die Nacht mitzuerleben. Die Füchse, Hasen und Igel trafen sich. Hier, unter der alten Eiche war ein besonderer Raum: Jeder achtete den anderen und es war wichtiger zusammen zu kommen und den Tag und die Nacht miteinander zu verbringen, als gegeneinander zu stehen.
Da die Tiere aus den verschiedensten Richtungen im Wald zusammenkamen, war es auch immer die Zeit, um sich auszutauschen und zu hören, wie es all den Tieren in den anderen Bereichen des Waldes so erging. Der Tag verflog wie im Nu und langsam wurden alle Kinder ungeduldig. Wo war Arävin, kam er überhaupt? Die Vorbereitungen für den Abend begannen, die ersten Fledermäuse und Eulen zeigten sich, die Glühwürmchen begannen die Lichter anzumachen, aber von Arävin war noch nichts zu sehen. Zum Glück mussten die Kinder nicht ihre Eltern anbetteln, wach bleiben zu dürfen, um zu schauen, ob er nicht doch noch vorbeischaute. Denn heute, in der kürzesten Nacht unter der alten Eiche, da würde niemand früh zu Bett gehen. Morgen konnten alle schlafen, aber heute waren der Tag und die Nacht endlos.
Die Eule erzählte gerade einer Schar von Zuhörern von ihrem Ausflug in den Obstgarten hinter dem Wald in die südliche Richtung – da wo es die leckersten Pfirsiche gab. (Das konnte Frau Pflaumensucherin bestätigen, sie backte die besten Pfirsichkuchen weit und breit!) Da ertönte ein Horn. Der Schall kam von hoch oben aus der Eiche und alle schauten verwundert dorthin. Die Kinder erkannten ihn zuerst und fingen an zu jubeln. Hoch oben stand ihr Held! Der Abenteurer Arävin. An seinem Gürtel hing eine runde Flasche mit einer Flüssigkeit in der Farbe des Sonnenuntergangs. Daneben hing sein besonderes Messer, mit dem er überall erkannt wurde. Und um seinen Hals hing die Kette mit dem leuchtenden Stern – dem Stern, der ihm den Weg wies, wie Arävin gerne erzählte. Frau Pflaumensucherin schüttelte nur den Kopf, so viel Dramatik für einen Auftritt! Sie hätte viel lieber die Geschichte von der Eule fertig gehört, um zu erfahren, wann die Pfirsiche dieses Jahr reif sein würden, aber jetzt wollte jeder Platz machen für Arävin und ihn mit Fragen bombardieren und von seinen Abenteuern hören. Die Kinder würden wieder für ein Jahr Geschichte zum Nachspielen, haben, soviel war klar!
Arävin kletterte vom Baum herunter. Wie so ein Dachs da hochgekommen sein sollte, das war nicht jedem klar, aber bei Arävin war alles möglich. Die Abenteuer, von denen er erzählte, zerschlugen da jeden Zweifel! Dieses Mal hatte er seinen Freund dabei – Martin, das Wiesel. Die beiden waren schon als Kinder unzertrennlich gewesen und hatten zusammen von der großen Welt geträumt. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, die Lichter waren angezündet worden und warfen ein besonderes Licht auf die Eiche. Die Eiche wusste nie so genau, was ihr liebster Teil dieses Festes war. Der Tag oder die Nacht, in der die Glühwürmchen es schafften, dass der Sternenhimmel sich unter ihrem Blätterdach zu versammeln schien. Sie kam sich immer vor, als ob sie im Weltall schwebte, eingekreist von funkelnden Sternen. Aber vielleicht war es auch einfach das ganze Fest, überlegte die Eiche. Alles gehörte zusammen.
Arävin und Martin wurden begeistert begrüßt und schon bald erzählten sie von ihren Abenteuern, die sie in andere Wälder geführt hatten. Sie erzählten von den Wesen und Bäumen, denen sie dort begegnet waren. Davon, wie der Stern sie sicher auf ihrem Weg leitete. Wie sie denn wüssten, was ihr Weg sei, wollte da mutig ein junger Fuchs wissen. Arävin schaute Martin an, und Martin schaute Arävin an. Martin zuckte mit den Schultern. Da sagte Arävin: „Wenn ich Angst habe, den nächsten Schritt zu tun, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ – Die jungen Hasen und Rehe schauten sich mit großen Augen an. Über Angst wussten sie ganz viel. Aber Angst brachte ihnen eher bei, davonzulaufen, als weiterzugehen. Was meinte Arävin damit nur? Auch die jungen Füchse und Dachse konnten mit der Aussage von Arävin nicht so viel anfangen. Die Eule verdrehte die Augen und meinte dann, dass nur Abenteurer so verrückt seien und auf die Herausforderung zuliefen.
Aber Frau Pflaumensucherin, die wusste genau wovon Arävin redete. Sie hatte häufig Angst, dass ein neues Kuchenrezept nicht so gelingen würde, wie sie dachte, aber sie probierte es trotzdem. Und häufig, wurde es der neue Lieblingskuchen, der unbedingt für das nächste Sommerfest gebacken werden musste. Manchmal brauchte es Angst, um überhaupt den ersten Schritt zu wagen. Das wusste sie nur zu gut! Vielleicht sollte sie die jungen Hasen und Rehe nächstes Jahr mit auf die Suche nach den besten Zutaten für die neueste Kuchenkreation nehmen, damit sie lernten mutig auf ihr Leben zuzugehen, während Arävin wieder in fremden Wäldern umherzog, um Kunde aus fernen Ländern mitzubringen! Das war ein schöner Gedanke, fand sie. Und die Eiche lächelte glücklich und zufrieden, dass wieder ein Jahr voller Teilen, Freundschaften und Neue Wege finden vor den Festgästen unter ihren Ästen lag. Sie freute sich auf die nächste Sommersonnwende, um zu hören, was die Wesen in ihrem Wald das kommende Jahr so alles erlebt haben würden.