An den nächsten Tagen hatte er Glück und fand immer kurz vor Einbruch der Nacht eine Herberge, in der er die Nacht in einem warmen Zimmer verbringen konnte. Er kam seinem Ziel stetig näher, aber es war so wie er gedacht hatte. Erst zur Wintersonnenwende würde er eintreffen. Sei es drum...
Am Morgen kurz vor seinem Ziel packte er seine Sachen in der Herberge zusammen und machte sich wieder auf den Weg. Das Wetter war etwas besser geworden. Wenigstens stürmte und schneite es nicht mehr, dafür wurde die Luft immer kälter und die trockene klirrende Kälte der sternklaren Nacht kroch ihm diesmal unter den wärmenden Umhang, den er fest um sich gewickelt hatte und dessen Kapuze ihm tief vors Gesicht hing. Trotzdem dauerte es nicht lang bis sein gefrierender Atem seinen Bart mit kleinen bizarr geformten Eiszapfen übersät hatte.
Ein falscher Schritt und er stand plötzlich bis zur Hüfte in einem schneeüberzogenen Tümpel, den er übersehen hatte. Eiskaltes Wasser umspülte seine Beine und kroch schnell unter die Haut und kühlte sein Blut. Er musste hier raus, aber schnell. Einfacher gesagt, als getan, er konnte sich nirgends festhalten oder sich herausziehen, mit jeder Bewegung sackte er nur weiter in den schlammigen Untergrund. Hilfesuchend schaute er sich um, fand aber nichts in der Nähe, was ihn weiterbringen würde. Zorn wallte in ihm auf und mit einem wütenden Schrei machte er sich Luft. Um ihn herum verdichtete sich der Schatten, der ihm überall hin folgte, doch er merkte es nicht.
Plötzlich blitzte ein winziges Licht vor ihm auf und kam schwebend vor ihm zum stehen. „Unsinn, so etwas gab es nicht.“ durchfuhr es ihn als eine kurze Ahnung in ihm aufkeimte.
Aber doch, als das Licht etwas verblasste und sich langsam eine kleine Gestalt daraus hervor schälte, musste er knurrig zugeben, dass es wohl tatsächlich Fabelwesen geben musste. Dieses tanzte in ihrem schneeweißen glitzernden Kleidchen ein wenig vor ihm hin und her, beschaute sich seine missliche Lage und lächelte dann sanft.
„Wie ich sehe, bist Du in Schwierigkeiten. Ich kann Dir meine Hilfe anbieten.“
Mürrisch erwiderte er. “Was kann eine so kleine Fee wie Du schon ausrichten?“ und wischte mit seiner Hand einmal vor sich durch die Luft als wolle er die Fee wie ein lästiges Getier beiseite wischen.
Erstaunt hob die Fee ihre Augenbrauen, lächelte jedoch immer noch sanft. „Du urteilst schnell und ungerecht. Ich hoffe, Du änderst Deine Meinung noch.“ Damit setzte sie sich nicht weit entfernt auf einen Ast und sah ihm in seinen Anstrengungen zu, allein aus dem Tümpel zu kommen.
Es dauerte nicht lang und er sah zähneknirschend ein, dass seine einsamen Bemühungen nichts bringen konnten. Immer noch mürrisch drein blickend drehte er sich zu der Fee.
„Na gut, Du hast recht. Allein schaff ich es nicht. Kannst Du mir helfen?“
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie schwang sich elegant von dem Ast. „Ich vielleicht, aber ich habe eine bessere Idee. Warte hier.“
Damit war sie schon außer Sicht geflogen und verschwunden.
„Typisch.“ dachte er. „Wohin sollte ich wohl gehen. Feengeschmeiß.“
Aber es dauerte nicht lange und er konnte das kleine blinkende Licht der Fee wieder auf sich zukommen sehen. Im Schlepptau mit einem alten Mann, wie es schien, der in einer langen ungebleichten Robe und in einen ebenfalls ungebleichten wollenden Umhang geschlungen schwerfällig durch den Schnee stapfte. Das wurde ja immer besser. Erst eine kleine fliegende Fee, nicht größer als sein kleiner Finger und nun noch ein alter Tattergreis mit langem weißen Rauschebart und Wanderstock, er konnte sich gar nicht entscheiden, wem er mehr Kraft zutraute ihn herauszuziehen.
Doch die langsam immer höher aufsteigende Kälte in seinen Gliedern ließ ihn diesmal den Mund halten und er rang sich sogar ein einigermaßen brauchbares Lächeln ab als die beiden bei ihm vor dem Tümpel standen.
„Siehst Du, er braucht langsam wirklich Hilfe, er hat schon ganz blaue Lippen.“ sagte die Fee gerade zu dem Alten.
Dieser nickte nur und schaute auf etwas hinter ihm, wie es schien, dann blickten die tiefen schwarzen Augen des Alten in seine Augen und ihn durchlief ein Schauer. Er konnte nicht mal sagen warum, aber der Alte schien ihm in die Seele zu blicken. Das behagte ihm gar nicht. Seltsam, und seine schwarzen Augen passten so gar nicht zu seiner sonstigen hellen Erscheinung und seiner freundlichen Ausstrahlung.
Erst nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, kroch der Blick des Alten auf sein Gesicht und weiter hinunter bis zu dem Wasserloch in dem er stand. Bedächtig nickte der Alte, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen.
„Ja, es wird Zeit für Dich. Willst Du dir von mir helfen lassen oder willst Du Deinen Weg weitergehen?“ fragte ihn der Alte mit geheimnisvollen Worten. Doch ihm fiel es kaum auf, sein ganzes Streben war es nur aus diesem eiskalten Tümpel zu kommen und sich schnellstens aufzuwärmen. „Ja, ja, natürlich! Ich möchte Deine Hilfe!“ antwortete er daher rasch und schaute den Alten auffordernd an.
Dieser ließ seine Hände in einigen kurzen fließenden Bewegungen durch die kalte Luft gleiten, sprach ein paar fremd klingende Worte und ließ seinen Stock dreimal auf den Boden nieder fahren. Danach streckte er ihm seinen Stecken über das Eis zu. Der ersten Verwirrung über die eigenartigen Gebaren des Alten wich ungeduldige Dankbarkeit als er endlich den Stecken greifen konnte und sich mit klammen Fingern daran festhielt. Doch die Kälte war schon weit in ihm hochgekrochen und er spürte wie seine steifen Finger nicht mehr die Kraft hatten sich gänzlich zu schließen. Als der Alte ihn an dem Stecken heraus ziehen wollte, rutschten seine Finger langsam aber stetig am Holz ab. Mehrere Male versuchte er den Stecken im Griff zu behalten und jedes Mal rutschte er wieder ab, bis die Fee zu ihm schwebte und einige Male so schnell um seine Hände flog, die am Stecken lagen, dass er sie nur noch als Lichtschlieren wahrnehmen konnte. Überraschenderweise fühlte er sich nun an den Stecken gebunden und brauchte seine Hände nicht mehr zwingen sich um das Holz zu schließen. Als er langsam schmatzend und am ganzen Körper zitternd aus dem Wasserloch glitt, wurden seine Sinne immer benebelter. Kaum konnte er sich noch darüber wundern, dass der Alte ihn tatsächlich aus dem Loch gezogen hatte, da verdunkelte sich langsam sein Blick immer mehr und das letzte was er sah, war nur noch das geheimnisvolle Lächeln des Alten als dieser sich über ihn beugte mit seinem tiefen schwarzen Augen…
Dunkelheit umfing ihn und er schwebte durch diese samtige Finsternis, fühlte sich geborgen und aufgehoben. Endlose Dunkelheit, endloses Schweben, zufrieden im Samt des Vergessens. Ein leichter Schauder kroch mit klammen Klauen über seinen Rücken und als er die Augen öffnete, sah er in dieser Dunkelheit einen schwarzen Schatten lauern. Dieser Schatten passte nicht in seine samtige Dunkelheit. Dieser Schatten bereitete ihm Unbehagen, ja, er konnte ein Erzittern nicht unterdrücken. Die Klauen dieses Schatten griffen nach seinem Herz und er spürte die Kälte ehe er sah, dass der Schatten sich nicht bewegt hatte. Ein Schauder überlief ihn und er hätte schwören können, dass der Schatten lächelte, obwohl es kein Gesicht gab, was ein Lächeln hätte tragen können.
Er erwachte mit einem Ruck und schaute sich hektisch um. Neben ihm auf einem Hocker stand ein Becher Wasser und auf einem Brett etwas Käse, Wurst und ein Stück Brot. Als er mit seiner Hand an die Stirn griff, fühlte er kalten Schweiß und er erinnerte sich an seinen eigenartigen Traum. Mürrisch schüttelte er den Kopf und vertrieb damit die letzten Eindrücke des Traumes.
Die Tür öffnete sich zu seiner Kammer und eine Frau mit langen dunklen Haaren kam lächelnd herein. „Ich grüße Euch Fremder. Ich sehe, Ihr seid erwacht und schaut viel erholter aus als noch gestern als ihr vor unserer Tür lagt.“
Sie setzte sich an sein Bett und fühlte seine Stirn. „Ihr wart ziemlich durchgefroren und fast dachte ich schon, Ihr würdet nicht überleben, doch Ihr habt es geschafft.“ Sie machte eine kleine Pause und sah ihn nachdenklich an. Mit einem Seufzer setzte sie sich auf. „Ihr könnt Euch gern die nächsten Tage bei uns erholen. Die Wintersonnenwende ist bereits heute und es wird noch kälter draußen werden. Unsere Familie würde sich freuen, wenn Ihr mit uns dieses Fest begehen würdet.“ Diesmal sah sie ihn durchdringend an, als ob sie so sehen könnte, was ihn zu dieser Jahreszeit so abseits der Handelswege geführt hatte.
Er hingegen war seit ihrem Eintritt in einer erschrockenen Starre gefangen, und seine Gedanken rasten durch seinen Kopf. „Oh nein, wie konnte das geschehen? Warum gerade hierher? Was sollte er jetzt tun?“ Erst nach ihren letzten Worten löste sich seine Starre allmählich und er nickte kaum merklich.
„Fein. Ich werde den Kindern sagen, sie sollen nicht so laut sein und Euch wieder schlafen lassen.“ Sie stand auf und verließ anmutig den Raum.
Mit einem Satz saß er auf dem Bettrand und …sackte wie ein nasser Sack wieder zurück. Zitternd zog er die Decke wieder über sich und schaute sich um. Er musste in ihrem Schlafzimmer sein, nein, das sah eher so aus, als ob das ein Zimmer für Kinder gewesen wäre. Nun ja, mit etwas Glück schliefen sie und ihr Mann allein und die Kinder ebenso. Egal, heute Nacht würde er aufstehen können und gehen, doch vorher würde er noch seinen Auftrag erfüllen.
Er schlief den restlichen Tag, aß zwischendurch etwas von dem Teller und schlief weiter. Als die Frau ihn abends zum Abendessen holen wollte, tat er so als ob er immer noch schliefe und sie zog unverrichteter Dinge wieder ab. Er jedoch versuchte langsam aufzustehen und sich einiges von seinen Sachen anzuziehen, die über einem Stuhl hingen. Seine Sachen schienen sie nicht angefasst zu haben. Gut, sonst hätten sie vielleicht geahnt weshalb er hier war. Ein Singen klang durch die Tür. Neugierig bückte er sich und schaute durch eine Ritze in den angrenzenden Raum.
Überall standen Kerzen und beleuchteten den Hauptraum der Hütte in einem warmen Licht. Eine kleine Tanne stand in einer Ecke und war ebenfalls mit brennenden Kerzen geschmückt. Dazwischen hingen rote Äpfel und kleine Strohsterne. Die Familie saß vor dem Kamin im Halbkreis vor einem kleinen Tisch mit allerlei Leckereien und sang winterliche Lieder. Lieder, die selbst an seinem Herz kratzten und eingelassen werden wollten. Er schüttelte sich leicht und wollte dieses Gefühl abstreifen. Eine Wärme strahlte aus diesem Raum, die nichts mit dem Feuer im Kamin oder mit den Kerzen zu tun hatte. Eine Wärme, die fast greifbar war und sich um sein Herz legen wollte, doch er schüttelte sie unwirsch ab und ging zurück seine Sachen zu sichten. Als er fertig war, legte er alles bereit und legte sich wieder ins Bett. Diesmal achtete er darauf, nicht wieder einzuschlafen. Als die Frau noch einmal in sein Zimmer schaute, stellte er sich wieder schlafend und kurz danach hörte er, wie alles im Haus ruhiger wurde und sich alle schlafen legten. Eine Weile wartete er noch, dann stand er auf, legte seinen Gürtel mit den Dolchen und Messern um und schlich sich lautlos aus seinem Zimmer. Finsternis umfing ihn im Wohnraum, tiefe Dunkelheit und kurz schauderte er, ohne zu wissen, warum. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schaute er sich noch einmal um. Von diesem Hauptraum gingen nur drei Türen ab und bis auf den Tannenbaum standen nur noch ein kleiner Tisch und vier Stühle in einer Ecke neben seiner Tür. Als er die erste Tür neben seiner leise öffnete, sah er drei Kinder in einem Bett schlafen und zog leise die Tür wieder zu. Die nächste Tür war die Haustür, das konnte er an dem kalten Luftzug darunter spüren. Also die letzte Tür! Leise schlich er hinüber und erschrak nicht zu wenig als plötzlich ein Brett unter seinen Füßen leise knarrte. Jede Bewegung verhaltend stand er da und lauschte, doch nichts rührte sich und er schlich langsam weiter. Vorsichtig legte er seine Hand auf den Türknauf und drückte die Tür sanft auf. Sein Blick fiel zuerst auf einen großen schlafenden blonden Hünen, der zur Tür gedreht, leise schnarchte. Dahinter sah er die dunklen Locken der Frau, auch sie gab leise Schlafgeräusche von sich. Achtsam tappte er auf den Mann zu und überlegte kurz ob Dolch oder Messer. Eigentlich egal, er entschied sich für den Dolch und zog ihn leise aus der Scheide. Mit dem letzten schleichenden Schritt stand er vor dem Bett des Ehepaares und schaute noch einmal in die friedlich schlafenden Gesichter. Ein leises Bedauern schlich sich in sein Herz. Der Schatten hinter ihm drängte sich dichter und wallte einmal kurz auf. Das Bedauern verschwand wieder. Er zielte und stach zu.
Fast hätte er aufgeschrien als sein Dolch von etwas unsichtbarem abprallte und er sich fast seinen eigenen Dolch in sein Knie gerammt hätte. Nur mit Mühe konnte er den Schwung aus der Klinge noch heraus nehmen. Dann stand er fassungslos vor dem Bett und probierte einige vorsichtige Vorstöße mit der Spitze des Dolches. Es kam immer dasselbe heraus. Die Spitze prallte beharrlich von etwas ab, was seinen Augen verschlossen blieb. Wie konnte das sein?
Eine leichte Bewegung im Augenwinkel ließ ihn herumfahren und ein leises bekanntes Lachen begrüßte ihn aus der Zimmerecke neben der Tür.
„Wie ich sehe, hast Du von Deinem Vorhaben nicht abgelassen, obwohl Dir Dein Herz wieder und wieder sagt, dass Du es nicht tun willst.“
Die kleine Fee schüttelte den kleinen Kopf in gespielter Entrüstung.
Er sah sie fast verzweifelt an. „Hast DU dieses Dings um sie herum gemacht?“
Die Fee flog direkt zu seinem Ohr und flüsterte theatralisch. „Ja, und Du kannst es nicht durchdringen, egal was Du tust.“
Er ließ seinen Dolch mit einer hoffnungslosen Geste sinken. Hinter ihm wallte der Schatten auf und griff ihn mit kalter Hand ans Herz. Diesmal spürte er es und zuckte instinktiv zurück.
Anerkennend nickte die Fee leicht. „Schau hinter Dich.“
Er drehte sich lautlos um und meinte an der Wand ein dunkles Wabern zu sehen. Seine Erinnerung an den Traum kehrte mit voller Wucht zurück und auch an die Kälte und das Schaudern. Misstrauisch wich er zurück und stieß an die Barriere der Fee. Beklommen drehte er seinen Kopf zu der Fee. Diese lächelte nun warm und freundlich und er erinnerte sich an die Wärme die früher am Abend aus dem Wohnraum gedrungen war. Die Wärme, die durch alle Wände gedrungen war, die mit wärmenden Strahlen in sein Herz gegriffen hatte und ein warm pulsierendes Sandkorn zurückgelassen hatte, wo sonst dumpfe Gleichgültigkeit herrschte.
Der dunkle Schatten hinter ihm bäumte sich hoch auf, doch er merkte es nicht. Verwundert besah er sich dieses kleine glimmende Sandkorn und erstaunt sah er, dass es immer größer wurde. Im gleichen Maße wurde der Schatten immer durchlässiger und waberte langsam und hilflos aus dem Raum.
Die Fee lächelte sanft mit einem kleinen Blitzen in den Augen als sie in sein Gesicht sah und eine Erkenntnis erblickte, die ihm schon so lange abhanden gekommen war. Als er sich langsam der Tür zuwandte, umfing ihn Dunkelheit und er schwebte durch diese samtige Finsternis. Er fühlte sich geborgen und aufgehoben. Endlose Dunkelheit, endloses Schweben, zufrieden im Samt des Vergessens. Eine Wärme umhüllte ihn und trug ihn mit sich durch die Dunkelheit. Warme Schwärze ….
Er erwachte am See und sah in die lächelnden tief schwarzen Augen des alten Mannes…..
Bilder: Anna Oakflower
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