Es war die dunkelste Nacht im Jahr. Das spürte der kleine Zwerg, als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, ihr Licht noch einmal auf den Wald warf und den Himmel in lila und rosa eintauchte. Er seufzte, die letzten Monate hatte das Licht immer mehr abgenommen. Erst unmerklich, dann ganz eindeutig: die Nächte dauerten länger als die Tage. Die letzten zwei Monate war es dann nicht mehr wegzuleugnen.. Die Sonne hatte keine Kraft mehr. Sie stieg nicht mehr so hoch an den Himmel, wie im Sommer und es wurde immer kälter.
Der Zwerg mochte die Nächte überhaupt nicht. Er konnte die Dunkelheit nicht ertragen. Er hatte dann immer Angst und fühlte sich so richtig wohl nur in seiner Hütte unter dem Haselstrauch. Aber tagsüber, wenn die Sonne schien, das war immer schön. Da konnte er Holz suchen am Waldrand. Richtig hinein traute er sich nicht, da war es immer so finster. Aber sobald die Sonne über dem Wald aufging, da kam er aus seiner Hütte und spielte mit den Sonnenstrahlen oder saß in der Sonne und schnitzte Holz.
Wie er nun da saß und der Sonne zusah wie sie hinter dem Horizont verschwand, da fühlte er,
das hier, das ist das Ende. Ob er die Sonne wohl jemals wieder sehen würde?
Er seufzte, und ging unter den letzten Farben des Tages zu seiner Hütte. Als er angekommen war, war es ihm schwer ums Herz geworden. Was sollte er nur tun? Bedeutete es, immer in der Dunkelheit zu leben, oder gab es doch noch eine Hoffnung? Er setzte sich ans Fenster, und sah hinüber zum Wald. Er erschien ihm noch schwärzer als sonst. Überhaupt war die Nacht so schwarz wie noch nie. So Pechschwarz hatte er noch keine Nacht erlebt. Er war geschützt in seiner Hütte. Das tröstete ihn. Aber wenn die Sonne nicht wieder aufging, dann mußte er für immer in ihr bleiben, anstatt in der Sonne Holz zu schnitzen. Kein schöner Gedanke.
Er suchte den Himmel ab. Vielleicht gab es ja dort oben, wo sie sonst immer stand und die Welt mit ihren Strahlen beglückte, ein Zeichen, einen Hoffnungsschimmer. Irgendetwas. Auf einmal, der Zwerg traute seinen Augen nicht und rieb sie ganz fürchterlich, aber als er noch einmal hinschaute, war es immer noch so. Die Sterne tanzten. Sie bewegten sich. Waren sie glücklich, das die Sonne nie wieder scheinen würde? Oder bedeutete es etwas anderes? Er sah seine Nachbarin, die Sternenelfe in ihrer immergrünen Eibe herumtanzen. Merkwürdig, sie tanzte doch nur an ganz besonderen tagen. „Sternenelfe, wieso scheinen alle Sterne zu tanzen?“ „Weißt du es denn nicht?“ „Was, Was soll ich wissen?“ „Ach entschuldige, dein Baum verliert ja seine Blätter, du kannst es ja gar nicht wissen. Nur die Wesen, die unter immergrünen Bäumen wohnen wissen darum, weil es nur grüne Blätter
erzählen können.“ „Was sagen sie denn?“ „Sie erzählen von dem Licht das heute in der Erde wiedergeboren wird.“ „Das Licht wird wiedergeboren?“ „Ja natürlich. Was denkst du denn? Alles muß einmal erneuert werden, und das Licht tut es heute Nacht. Die große Göttin wird es wiedergebären und niemand darf dabei zu sehen. Aber wir alle freuen uns so, daß die Sonne uns das neue Licht schenken wird, damit auch wir wieder heller erstrahlen können.“ „Und niemand darf zusehen?“ „Nein niemand“ „Wo geschieht es denn“ „Unter der Erde.“ „Aber wo genau?“ „Woher soll ich denn das wissen. Mir reicht es hier in meinem Baum mit den Sternen zu tanzen“ und schon drehte sie sich um eine rote Beere und tanzte durch den Baum. Das Licht wird wiedergeboren. Die Sonne kommt wieder. Strahlender, heller, größer. Das hörte sich alles so phantastisch an, das wollte der Zwerg sehen. Er jubelte. Er konnte nicht in seiner Stube bleiben und nichts tun. Er mußte losgehen und diesen Ort suchen. Vielleicht, weil niemand sonst da war, ja vielleicht brauchte sie ja seine Hilfe! Er zog seine warmen roten Stiefel an, zog seinen roten Umhang an, setzte die rote Mütze auf und überlegte in welche Richtung er denn gehen sollte. Er packte auch noch Nüsse ein als Wegzehrung und eine seiner schönsten Holzschnitzfiguren. Er wollte sie dem Licht schenken, aus Freude, das es wiederkommt. Mittlerweile fing es an zu schneien und die Schneeflocken tanzten glücklich vor sich hin. Er überlegte sich, daß er nach Osten gehen sollte, dorthin, wo die Sonne immer aufgegangen war. Es half alles nichts. Er mußte durch den finsteren Wald. Er schluckte, und stapfte tapfer los, die Sehnsucht, das Licht zu sehen war größer als jede Angst vor der Dunkelheit. Irgendwann mußte dieser Wald aufhören. Damit tröstete er sich und ging weiter. Im Wald war es so schwarz und am liebsten wäre er umgedreht. Doch dann sah er durch die kahlen Äste der Bäume die Sterne tanzen und er wußte, er machte sich nicht umsonst auf den Weg. Er würde das Licht finden. Er wird dabeisein, wenn das Licht wiedergeboren wird. Mit diesem Wissen und der freudigen Erwartung war es soviel leichter. Schnell kam er tief in den Wald hinein.
Er war schon eine ganze Weile unterwegs. Das Schneegestöber wurde immer dichter und er mußte sich vorwärtskämpfen. Er blickte auf und sah nur tiefe Nacht um sich. Keine Sterne, kein Licht, nichts. Er war in den dunkelsten Wald, den der Tannen, geraten. Er war ganz allein in der Dunkelheit. Die Tannen ließen kein Licht durch. Sie standen hoch und stumm.
War er überhaupt auf dem richtigen Weg? Was tat er hier? Er setzte sich auf einem Baumstumpf und war ganz unglücklich. So lange war er schon unterwegs, und er kam nicht weiter und das Licht wird sowieso ohne ihn geboren werden und sagte die Sternenelfe nicht, niemand dürfte dabei sein? Hatte er seine Angst umsonst überwunden? Er war doch in den Wald gegangen, und es war dunkel, aber so dunkel, und so ohne Hoffnung? Wenn er doch wenigstens die Sterne sehen könnte. Und hinausfinden würde er bestimmt auch nicht mehr. Und der Schnee lag immer höher und hatte alle Spuren verwischt. Unendliche Verzweiflung packte den Zwerg. Er schluchzte auf und weinte los.
„Kannst du mir nicht ein paar Nüsse geben? Das Holz ist so schwer und ich habe es noch weit.“ Erschrocken schaute er hoch. Vor ihm stand ein altes Hutzelweib, das am Holz sammeln war. Er gab ihr seinen ganzen Vorrat, den er mitgenommen hat. Er hatte keinen Hunger. „Weine nicht. Es gibt immer einen Weg.“ „Aber...“ „Du suchst den Ort, an dem das Licht wiedergeboren wird“ „Woher weißt du das?“ „Die Sterne haben es mir erzählt. Sie wollten dich begleiten, weil sie es mutig fanden, das du das Licht sehen willst. Sie wachen über dich“ Die Sterne. Ja, sie hatten ihn begleitet. Aber er konnte sie nicht mehr sehen. „Weißt du wie...“ „Folge den Hirschen, Sie wissen alles über das neue Licht.“ Mit diesen Worten ging sie weiter und knackte ein paar Nüsse zwischen den Zähnen.
Folge den Hirschen. Die Hirsche. Könige des Waldes und der Felder. Sie kannten sich aus. Sie wußten immer alles. Frage die Hirsche. Wieso war er nicht gleich daraufgekommen. Er lief los und nach kurzer Zeit fand er zu einer Lichtung. Er sah die Sterne wieder und lächelte ihnen zu. So einfach war es. Frage die Hirsche. Und da sah er sie. Im Schnee. Die Hirschspuren. Er folgte ihnen. Und je länger er ihnen nachging desto mehr Hirschspuren wurden es. Sie führten ihn hinaus aus dem Wald, über ein paar Felder an einen Berg. Und da sah er sie, die Versammlung der Hirsche. Es war, als ob sich alle Hirsche hier versammelten hätten. War es hier? Sollte hier das Licht neu geboren werden? Vorsichtig trat er an einen Hirsch heran. Er wollte ihn fragen, ob es hier sei. Aber der Hirsch nahm ihn einfach auf sein Geweih und hob ihn über die Menge. Von da oben hatte der Zwerg eine wunderbare Aussicht. Er sah den Eingang der Höhle, die tief in den Berg hineinführte und er spürte, das dies der Ort war, wo zu gegebener Stunde das Wunderbarste passieren sollte. Er fühlte wie die Nacht nun langsam ihrem Höhepunkt zu ging. Dunkler konnte es nicht mehr werden. Um sich herum nahm er ein unheimliche Stille wahr. Die Sterne hatten aufgehört zu tanzen und selbst die Schneeflocken verharrten still. Es war als ob die Welt die Luft anhielt. Er starrte in die Höhle und versuchte wenigstens etwas zu sehen, aber da war nur schwarz.
Der Schrei eines Neugeborenen rief durch die Stille. Der erste Lichtschimmer fiel aus der Höhle. Die Hirsche fielen auf die Knie. Die Schneeflocken legten sich sanft zur Erde und die Sterne strahlten noch heller. Es war da. Die Göttin hatte das Licht wiedergeboren. Sie hatte ihr Kind zur Welt gebracht in einer dunkeln Höhle. Und jetzt wurde es wieder hell. Die Dunkelheit hatte verloren. Der Weg war nicht umsonst gewesen. Er hatte es geschafft. Er war dabei gewesen. Er hatte es gesehen. Und auf einmal brach es los. Es war ein juchzen und ein jauchzen. Es war als wenn die ganze Erde und jedes Wesen mit ihr feiern würde. Die Hirsche tanzten und die Sterne tanzten und der Zwerg tanzte. Er fühlte sich wunderbar. Sie tanzten und feierten die ganze Nacht hindurch. Plötzlich färbte sich der Himmel rosa. Und wie auf ein nicht sichtbares Zeichen stellten sich die Hirsche auf und formten eine Gasse die auf den Eingang der Höhle zuführte.
Der Zwerg saß wieder auf seinem Platz im Geweih des alten Hirsches. Da ging die Sonne auf über dem Horizont und Warf den Strahl durch die Gasse hindurch in die Höhle hinein und beleuchtete den Weg. Der Zwerg konnte es nicht fassen. Er hielt den Atem an und mit ihm so schien es die ganze Welt.
Auf dem Sonnenstrahl trat die Göttin mit dem Neugeborenen Kind auf dem Arm hervor.
Neben sie trat der König der Hirsche und gemeinsam erlebten sie, wie die Sonne immer höher kletterte. Dann nahm der König der Hirsche sein Geweih ab, als Zeichen der Erneuerung und legte es dem Kind zu Füßen. „Auf das das neue Licht herrschen möge im neuen Jahr“.
Danach erbrachte ein Hirsch nachdem anderen seine Ehrerbietung dem neuen Kind. Auch der Zwerg stieg von seinem Ausblick herab, verbeugte sich und legte neben das Hirschgeweih die Holzfigur.