Der Traum an Wintersonnenwende
Eiskalter Wind schlug ihm wie eine Faust ins Gesicht, zögernd machte er einen Schritt nach vorn und hinter ihm schlug krachend die hölzerne Tavernentür zu. Sofort war nichts mehr von dem Lärm im Inneren zu hören. Leise fluchend stapfte er durch den Schnee.
Sha’Riss! War das kalt nach dem aufgeheizten Schankraum.
Sachte schlich sich ein gemächliches Torkeln in seinen Gang und er beäugte aufmerksam die dunklen Gassen und Hauseingänge unter seiner Kapuze. Anscheinend war den Beutelschneidern die Luft heute auch zu kalt. So setzte er seinen Weg fort und seine Aufmerksamkeit suchte den ihren. Nur noch mit einem Ohr auf die Umgebung hörend, schweiften seine Gedanken zu seinem neuen Auftrag. Er hatte zuerst nur eine grobe Ahnung gehabt, was wohl das Ziel sein sollte, doch nach heute Abend wusste er es ziemlich genau. Und es behagte ihm gar nicht. Er hatte sich ein Jahr und einen Tag Zeit ausgebeten, sein Ziel zu finden und den Auftrag auszuführen. Doch was danach geschehen würde, falls er versagen würde,… das wusste niemand. Wieso eigentlich versagen? Er hatte noch nie, äh, Moment, naja, einmal, daran war dieser Ma‘Rhit schuld gewesen. Aber wieso dachte er daran, dass er versagen würde? Bisher hatte er noch jedes Ziel gefunden. Zumindest das konnte er noch von sich behaupten, auch wenn ihm der Ma’Rhit seinen anderen Schnitt damals zunichte gemacht hatte. Brummelnd schüttelte er den Schnee von seinen Stiefeln. Bei dem Gedanken daran musste er unwillkürlich schmunzeln, auch wenn er das gar nicht wollte.
Eine eisige Böe fegte um eine Häuserecke und brachte ihn wieder zurück ins hier und jetzt. Räuspernd straffte er sich wieder. Nun ja, er hatte seinen Auftrag und musste morgen früh los. Natürlich war es der kälteste Winter seit Jahrhunderten und natürlich duldete sein Auftraggeber keine Verzögerung. Wie immer.
Durch verschlungene Wege, um etwaige Verfolger abzuschütteln, war er zu seiner Herberge gekommen. Er öffnete die Tür, schüttelte den Schnee von seinen Schuhen und trat mit einem liebenswürdigen offenen Lächeln ein.
Am nächsten Morgen packte er nach einem reichhaltigen Frühstück seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg durch die Kälte. Es dauerte nicht lange und die Stadt war hinter dem nächsten Hügel verschwunden. Wieder einmal blies ihm der Wind ins Gesicht und ihm gefror sein Atem in dem dichten wollenden Schal, den er sich vor den Mund gebunden hatte.
Satra! Konnte der Wind nicht ein einziges Mal von hinten kommen?
Einige Tage war er alleine unterwegs in dieser Kälte und glücklicherweise fand er wenigstens zur Nacht immer irgendwo ein Obdach, sei es bei Bauern oder in der nächsten Taverne. Die Luft wurde immer kälter. Es ging langsam auf die Wintersonnenwende zu.
Kurz vor der Wintersonnenwende beschlich ihn ein mulmiges Gefühl, so wie immer um diesen Tag herum. Er traute dem Frieden nicht in dieser Zeit und erwartete immer etwas Beunruhigendes. Zwar hatte er seine Erlebnisse von vor zwei Jahren schon fast als Hirngespinst eines unterkühlten Geistes abgetan, aber er konnte nicht leugnen, dass er seinen Auftrag damals nicht erfüllen konnte. Und irgendwie wurde er seitdem unruhig in diesen Tagen.
Im letzten Dorf hatte er die Vorbereitungen für die Wintersonnenwendfestlichkeiten gesehen und leise Klänge von Musik begleiteten seinen Weg hinaus weiter durch den Winter. Als er nun in der Dämmerung alleine wanderte, war ihm, als höre er immer noch leise Musik durch die kalte Luft schweben. Und auch wenn er es sich niemals eingestehen würde, diese Tage nagten an seinem schon abgestumpft geglaubten Herzen.
In dieser Nacht war es etwas wärmer gewesen und er hatte sich entschieden nicht mehr in der Dunkelheit weiter zu wandern bis zum nächsten Bauernhof, sondern die kleine Höhle zu versuchen, die er gefunden hatte als es gerade dämmerte. Er bereitete sich ein Lager und sammelte genug Holz für ein kleines Feuer für die Nacht. Einige Zeit saß er nach dem Abendessen noch da und starrte in die Flammen. Was sollte er nur tun? Fast gespenstisch leise Klänge von Musik schienen mit dem kühlen Wind zu reisen und sein Herz erzitterte kurz….
Er ging in einer schneebedeckten Landschaft spazieren. Über ihm spannte sich ein hellgrauer Himmel von Horizont zu Horizont. Die Luft war kalt und irgendwie weiß. Einige Meter vor ihm ging eine junge Frau spazieren. Sie kehrte ihm den Rücken zu und ging von ihm weg. Strahlend weiße Eiskristalle funkelten auf ihrem sich aufbauschenden weißen Kleid und ihr weißer Umhang flatterte leicht im kalten Wind. Alles war hell und weiß. Der einzige farbliche Kontrast waren ihre fast bodenlangen glänzend schwarzen Haare.
Sie schritt anmutig durch den Schnee und dabei schienen ihre Füße kaum einen Abdruck zu hinterlassen. Als sie sich umdrehte, lächelte sie ihm zu. Ihr Lächeln kribbelte ihm warm und kalt über den Rücken. Es war angenehm und gleichsam einschüchternd. In ihm erwachte ein zwiespältiges Gefühl, denn zum einen weckte sie in ihm Furcht, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte und zum anderen hatte er das Gefühl sie schützen zu müssen, obwohl augenscheinlich keine Gefahr drohte. Sie lächelte ihn an und bewegte sich weiter anmutig über den Schnee.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er plötzlich eine schwarze Wolke. Sie waberte in sein Blickfeld wie Milch, die sich in dem morgendlichen Tee langsam verteilte. Obwohl die Wolke scheinbar am Rand seines Blickwinkels verblieb, überkam ihn eine unerklärliche Panik und er rief der jungen Frau zu, sie solle sich in Sicherheit bringen und zu ihm kommen.
Doch sie schüttelte nur lächelnd ihren Kopf. Verständnislos hob er seine Hände.
„Was ist denn das?“
Sie antwortete „ Das ist das, was die Menschen mitbringen.“
Er schaute sie fragend an.
„Diese Welt“, sie deutete mit ihren Händen eine Runde über die schneebedeckte Landschaft an, „ist neutral und gerade ist Winter. Die Natur ist neutral, weder gut noch böse. Sie ist auch nicht verantwortlich für das Böse in der Welt. Das bringen die Menschen mit und allein die Menschen. Sie bringen meine Schöpfung um und sich selbst damit auch. Dabei sind sie ein Teil dieser Schöpfung.“
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort.
„Der, den Du suchst, hilft mir wo er kann. Er heilt meine Wunden und die der Menschen. Warum willst Du ihm böses? Er hat auch Dich geheilt, obwohl Du es nicht siehst.
Frage Dich lieber, wer Dir den Auftrag gab. Derjenige ist einer von denen, die mich verletzen und andere Menschen zerstören.“
Am Rande seines Blickfelds sah er den alten Mann heran schlurfen, der ihm von vor zwei Jahren so gut im Gedächtnis geblieben war, auch wenn er es nicht wollte. Mit einer Bewegung seines Stabes in seiner Hand vertrieb er die schwarze Wolke und verschwand wieder.
Die junge Frau schaute ihn durchdringend an. Und er fühlte sich irgendwie unbehaglich. ...
Langsam öffnete er die Augen und sah einen kleinen funkelnden Lichtpunkt vor seinen Augen auf und ab wippen. Sofort war er hellwach und riss die müden Augen auf.
„Oh nein, nicht Du schon wieder!“
Ein silberhelles Kichern war aus dem Lichtpunkt zu hören.
Als er den Kopf zum Feuer drehte, saß auf der anderen Seite des Feuers ein alter Mann. Der Ma’Rhit!
Dieser lächelte ihn an. „ Und ? Was wirst DU tun, Ramir?!“
Von Birigt P.